Meerschweinchenlähme oder einfach “nur” akuter Vitamin C-Mangel ??????

In letzter Zeit werde ich immer öfter von entsetzten Meerschweinchen-Haltern angerufen, die mit ihrem Meerschweinchen beim Tierarzt vorstellig wurden, der daraufhin Meerschweinchenlähme diagnostizierte und das betroffene Tier meistens gleich einschläfern möchte oder im schlimmsten Fall, bereits eingeschläfert hat. Dabei handelt es sich nicht nur um Tiere aus meiner Zucht, sondern auch um Tierchen, die im Zoohandel oder von privat erworben wurden.
Ich habe dann die unangenehme Aufgabe, den Besitzern zu erklären, daß das Meerschweinchen in den meisten Fällen absolut nicht an Meerschweinchenlähme, sondern “nur” an einem akuten Vitamin C-Mangel leidet bzw. gelitten hat.
Beide “Krankheiten” (Vitamin-Mangel ist eigentlich keine Krankheit) gehen mit fast den gleichen Symptomen einher, es ist also recht schwierig, eine genaue Diagnose zu stellen.
Zum besseren Verstehen möchte ich hier einmal die Krankheitsbilder der beiden “Krankheiten” erläutern :

- Meerschweinchenlähme

ist eine Infektionskrankheit, die Zeit zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit beträgt ca. 9-23 Tage.

Die Symptome können sein :

- erhöhte Temperatur 
- Futterverweigerung 
- gesträubtes Fell 
- anfangs hockende Stellung 
- Atembeschwerden 
- Zittern, später krampfartige Zuckungen der Rücken-, Hals- und Schultermuskulatur

Im Verlauf magern die Tiere deutlich ab, eine Erschlaffung der Hinterbeine kann bis zur Lähmung derselben führen.
Der Tod tritt oft erst nach 3-4 Wochen ein, bei akutem Verlauf allerdings schon nach 2-10 Tagen (Raebiger 1933; Jung 1958; Wasel 1984; Isenbügel 1985; Schmidt 1985).

- Vitamin C-Mangel ist, wie der Name schon sagt, lediglich ein Vitamin-Mangel. Meerschweinchen können  kein eigenes Vitamin C bilden, daher muß es von außen zugeführt werden.

Dies kann in Form von Grünfutter, Obst oder Gemüse, im Winter in Form von Ascorbin-Säure (Pulver aus der Apotheke) im Trinkwasser geschehen.

  Stellt sich ein Mangel an Vitamin C ein, so äußert sich dieser mit folgenden Symptomen :
  - Appetitlosigkeit
  - hockende Stellung
  - das Meerschweinchen bewegt sich kaum noch und wenn, dann “hüpft” es durch den Käfig
  - im weiteren Verlauf liegt das Tier auf der Seite und streckt die Hinterbeinchen von sich

Genau anhand dieser Symptome ist eine genaue Diagnose so schwierig !
Bei der Meerschweinchenlähme sind die Hinterbeine gelähmt und werden deshalb seitwärts weggestreckt. Bei Vitamin C-Mangel allerdings werden die Hinterbeinchen gestreckt, da die Gelenke aufgerieben sind und unerträgliche Schmerzen verursachen. Durch erhöhte Vitamin C-Gaben für 1-2 Wochen sind diese Symptome sehr schnell wieder verschwunden und das Meerschweinchen springt wieder fröhlich durch den Käfig. Das Vitamin C  kann ins Mäulchen oder durch Spritzen verabreicht werden.
Bei der Meerschweinchenlähme kann man allerdings nicht mehr viel helfen, sie endet in den meisten Fällen tödlich.

Es gibt jedoch Anhaltspunkte bzw. Fragen, die die Diagnose erleichtern können :
- Meerschweinchenlähme kommt eigentlich nur bei neugekauften bzw. durch neuzugekauften Meerschweinchen innerhalb der ersten 4-6 Woche zum Ausbruch. Ein Meerschweinchen, das bereits Jahre in einer Familie ist und keinen Kontakt mit anderen Meerschweinchen hat, kann nicht an Meerschweinchenlähme erkranken !

Folgende Fragen können bei der Diagnose helfen :
- Wie lange lebt das Meerschweinchen bereits im Haushalt ?
- Hat es Kontakt zu anderen Meerschweinchen ?
- Wurde vor kurzem ein neues Meerschweinchen dazugekauft ? In vielen Fällen ist es leider so, daß das neue Tier die Krankheit zwar überträgt, aber selbst nicht daran erkrankt. Der Leidtragende ist in diesem Fall immer das bereits vorhandene Meerschweinchen, dem man ja eigentlich etwas gutes tun wollte.

Ein gewisser Schutz vor Einschleppung der Meerschweinchenlähme bietet der Kauf eines Meerschweinchens bei einem Züchter. Er hält jedes neu gekaufte Tierchen (von anderen Züchtern) in strenger 6-wöchiger Quarantäne, denn kein Züchter kann es sich leisten, seinen Bestand mit dieser “Seuche” zu infizieren. Ich nenne diese Krankheit bewußt eine Seuche, denn sie kann sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreiten und so die Zuchtarbeit von vielen Jahren innerhalb weniger Wochen zunichte machen.

Deshalb : Finden Sie sich bitte nicht einfach damit ab, wenn Ihr Tierarzt Meerschweinchenlähme diagnostiziert, sondern sprechen Sie ihn ruhig auf die obigen Punkte an !


 Quelle : Ilse Hamel – Das Meerschweinchen, Heimtier und Patient

(c) Manuela Adler

Bild : Superstar von der Texelranch, Besitzer : Manuela Adler